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Führungskräfte in Ketten – oder: Manager sind auch nur Menschen

Lassen Sie uns voneinander und miteinander lernen! Wir sind immer wieder beeindruckt von den Reaktionen und Reflektionen unserer Podcast-Hörer. Nicht nur, weil es so beglückend ist, zu sehen, wie sie sich die Themen für ihren persönlichen Kontext aneignen, sondern auch aufgrund der Tiefe der Reflektion. Das ist immer inspirierend. Deshalb teilen wir heute sehr gerne die Reaktion einer Hörerin mit Ihnen, um auch Sie in den kritischen produktiven Zustand des Zweifelns zu bringen.

„Was sind die neuen Rezepte für die Zukunft?“ – auf diese Frage suchte sie, eine erfolgreiche CEO, Antworten. 

Und sie suchte bisher die Rezepte dort, wo auch viele andere Führungskräfte ganz selbstverständlich nach den Ideen suchen, wie sie ihr Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen: in der Vergangenheit. 

Und genau das ist die Herausforderung …

Führen in einer feinstofflichen Welt

Sie schrieb uns: „Sie haben mir mit Ihrem Podcast die Augen geöffnet“. Ihr Fazit: „Ich kann nicht mehr auf die vergangenen Erfolge referenzieren. Es geht nicht mehr – wir finden darin nicht mehr die richtigen Antworten. Ich kämpfe, um für mich einen Weg zu finden und dem Unternehmen jene Orientierung zu geben, die es bisher gehabt hat. Aber jetzt ist alles komplexer, schwieriger, feinstofflicher.“

Und fügte hinzu, dass sie sich trotz dieser Erkenntnis, dass der Blick in die Vergangenheit nicht die Rezepte für die Zukunft liefert, dennoch immer wieder bei den von uns beschriebenen Wahrnehmungsverzerrungen ertappe: „Dann gehe ich rasch einen Schritt zur Seite (mental) und starte meine Introspektionen“…

Was hat es also mit diesen „Wahrnehmungsverzerrungen“ auf sich, die es zu erkennen und zu verstehen gilt, um souveränes Führen in einer Welt, die „feinstofflicher“, also unfassbar komplex ist, möglich zu machen?

Unsere allzu menschlichen Denksysteme

Manager sind eben auch nur Menschen – sie irren sich. Sie sind nicht die rationalen Entscheider, die sie meinen zu sein – und sie handeln viel irrationaler, als ihnen bewusst ist. 

Uns geht es dabei nicht um „Manager-Versagen“, sondern um menschliche Wahrnehmungsfehler. Wie alle Menschen leiden Manager unter kognitiven Verzerrungen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Kommt situativer Stress hinzu, verleiten diese Verzerrungen Manager dazu, irrational zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln.

Deshalb ist es wichtig zu verstehen, wie menschliches Denken funktioniert – und wo die Fehlerquellen liegen können. Dazu hat der Psychologe und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Daniel Kahneman entscheidende Forschungsarbeit geleistet. Für ihn läuft das menschliche Denken in zwei verschiedenen psychischen Systemen ab – einem „langsamen System“ und einem „schnellen System“. 

Das langsame System ist die Domäne des bewussten, willentlichen Denkens, es ermöglicht Zweifel, Ungewissheit, Selbstkritik und Reflexion. Dieses langsame Denken kostet viel Zeit und Energie.

Das schnelle, quasi automatische System dagegen urteilt, entscheidet und handelt rasch auf Basis unvollständiger Informationen und ermöglicht routiniertes Handeln in komplexen Situationen in hoher Geschwindigkeit und mit geringem Energieaufwand. Es ist mit seinen Denkroutinen und automatisierten Abläufen bestens geeignet, eine große Menge an Informationen, unterschiedliche Positionen, Verhandlungen, Entscheidungen in kurzer Zeit zu bewältigen. Es ist – wie die Neurowissenschaft zeigt – das System, in dem Manager und Führungskräfte vor allem agieren. Und das ist gut so. Zunächst.

Führen im Autopilot

Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass diese Unterscheidung keine akademische Fiktion ist. Sie gilt für alle Menschen – ist aber gerade für Führungskräfte von großer Bedeutung. Am Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich in Deutschland wurde die Hirnaktivität in Entscheidungssituationen bei verschiedenen Probanden – auch bei Managern – aufgezeichnet. Das Ergebnis: Das Hirnareal von Managern, das Routinen und automatisierte Abläufe steuert, ist in solchen Momenten besonders intensiv aktiviert – im Vergleich zu dem anderer Probanden.

Manager und Führungskräfte verfügen also über außergewöhnlich viel kategorisiertes Wissen, das das Gehirn in ähnlichen Situationen automatisch abruft. Und das ermöglicht ihnen, schnelle und effiziente Entscheidungen zu optimieren. Das Dilemma ist, dass das schnelle System und das langsame System auf denselben Vorrat an mentaler Aufmerksamkeit zugreifen. Deshalb hat unser Gehirn eine sehr ökonomische Arbeitsteilung entwickelt: In Routinesituationen dominiert automatisch das schnelle System, während das langsame System in einer Art Energiesparmodus verharrt. Das erklärt, warum Zweifel und Reflexion gerade bei Top-Managern nicht zum Standard-Verhaltensrepertoire gehören.

Und gerade das ist gefährlich für Wirksamkeit in der Führung.

Führung ohne Ketten

Denn die Neurowissenschaft hat in den letzten Jahren überwältigende Beweise vorgelegt: Schnelles Denken als der managerielle Autopilot ist extrem anfällig für Fehler und Wahrnehmungsverzerrungen, sogenannte „Biases“. Wir nennen sie „Brain Chains“, weil sie das menschliche Gehirn tatsächlich „an die Kette legen“. 

Diese „Brain Chains“ sind nicht auf individuelle Fehler einzelner Führungskräfte zurückzuführen. Sie entstehen vielmehr dadurch, dass das hocheffiziente, intuitiv arbeitende System des schnellen Denkens auf der Grundlage unvollständiger Informationen urteilt und entscheidet. 

Dazu muss es mit Filtern arbeiten – und Filter zeigen nun einmal nie das ganze Bild. Sie verzerren das Bild. 

Dabei muss sich das Gehirn an den Best Practises und Rezepten der Vergangenheit orientieren – an den Erfahrungen, aus denen das schnelle Denken seine Routinen gebaut hat. In einer komplexen Welt, einer feinstofflichen Welt, werden diese Erfahrungen und die aus ihnen entstandenen Denkroutinen aber zu Ketten, die Sie in der Vergangenheit festhalten und die Zukunft gefährden. Vor allem dann, wenn es um Denkroutinen an der Unternehmensspitze geht, die zu falschen Vorhersagen und Fehlentscheidungen führen können …

Wenn es Ihnen aber gelingt, Ihr top-trainiertes schnelles System auszubremsen und gezielt in bestimmten Situationen dem zweiten, reflektiveren System das Kommando zu übergeben, umschiffen Sie klug diese Wahrnehmungsfallen – wie die Bestätigungsfalle, die Selbstdienlichkeitsfalle oder die Rückschaufalle.

In diesen disruptiven Zeiten der rasanten Erfahrungsentwertung ist es umso wichtiger, sich die typischen Denkroutinen oder eben Verzerrungen bewusst zu machen, die gute Entscheidungen torpedieren können.

Wollen Sie Ihre eigenen Brain Chains mal checken? 

Dann hören Sie doch mal in diese Podcast-Folge rein …

Herzlichst,

Ihre
Anke Houben & Kai Dierke

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