Wir sind ja nun wirklich keine Fußball-Experten, aber dass Jürgen Klopp sich schon frühzeitig aus dem Rennen für den Trainer der Fußball-Nationalmannschaft genommen hat, stimmt uns schon etwas wehmütig. Denn seine Haltung in der Führung ist außergewöhnlich, gibt inspirierende Impulse und hat Vorbildfunktion für jede Führungskraft. Warum?
Es gibt reichlich Gründe – sein souveräner Umgang mit Fehlern als ehrlich gemeinte Chance zum Lernen ist nur einer der Gründe, den wir bereits in unserem Podcast skizziert haben und den ihn von dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann unterscheidet. Eine andere entscheidende Besonderheit von Klopps Führungsarbeit ist seine explizite Arbeit mit Emotionen, im großen Stil. Darum geht es uns heute.
Als er 2015 bei Liverpool antrat, ging es ihm nicht nur darum, wieder ein starkes Team zu bauen, wieder Leistung zu bringen und Siege einzufahren – es ging ihm um viel mehr: darum, eine Umgebung und Atmosphäre zu bauen, in der seine Mitstreiter sich entwickeln und erfolgreich sein können. Wie hat er das geschafft?
Feeling machines that think
„Emotionen haben in der Führungsarbeit nichts zu suchen: Gute Manager entscheiden rein rational“ – so lautet einer der hartnäckigsten Mythen der Führung. Der Mythos des rationalen Managers. Das ist nicht nur unmöglich, sondern schlicht falsch.
Emotionen sind ein entscheidender Erfolgsfaktor für erfolgreiche Führung, wenn sie nicht taktisch oder gar zynisch eingesetzt werden. Wenn sie ihre Wurzeln in der Persönlichkeit der Führungskraft haben, der es ein Anliegen ist, andere Menschen zu verstehen und eine emotionale Bindung einzugehen. Genau solch eine Führungskraft ist Jürgen Klopp.
Eine solche Persönlichkeit schaut nicht rein rational auf die Welt – sie weiss genau, dass emotionale Zugehörigkeit und Verbundenheit wesentliche Faktoren für leistungsstarke Teams sind. Sie hat verstanden, was der Mitbegründer der Neurowissenschaften, Antonio Damasio, so treffend formuliert: „We are not thinking machines, but feeling machines that think“.
Wertschätzung des einzelnen Menschen
Wir müssen anerkennen, dass unsere Emotionen weit mehr Einfluss auf unsere Ratio haben als umgekehrt. Deshalb legt Jürgen Klopp mehr Wert auf das, was abseits des Spielfelds passiert, als auf dem Spielfeld. Pepijn Lijnders, Assistenztrainer bei Liverpool, sagt dazu: „Klopp baut eine Familie. Wir sagen immer: 30 % Taktik, 70 % Teambildung“. Und das bei einer Fußballmannschaft! „Bei ihm ist kein Platz für Egos oder verwöhnte Starspieler, alle werden mit der gleichen Herzlichkeit, Fairness und Respekt behandelt.“
Für Klopp sind das Verstehen des anderen Menschen und die emotionale Bindung entscheidend. Wenn er rein rational auf die Welt schauen würde, würde er nur auf die fussball-technische Weltklasse seiner Spieler schauen, aber genau so ist es eben nicht. Klopp schätzt jeden Spieler als Mensch persönlich wert – Wertschätzung im wahrsten Sinne, nicht nur Rädchen zum Erfolg.
Wie wichtig das ist, kennt Klopp von sich selbst – und genau deshalb legt er Wert darauf, seine Spieler und jedes Mitglied des grösseren Teams persönlich gut zu kennen und immer besser zu verstehen.
Spielen im Emotionalen System
Entscheidend für uns ist: Klopp baut diese Emotionen durch Wertschätzung auf persönlicher Ebene – gross denkend – zu einem Emotionalen System aus. Er baut an einem Umfeld der Wertschätzung, an einer „Familie“, einem System, in dem jeder jeden unterstützt, in dem jeder jeden mit Namen kennt, vom Spieler bis zum Hausmeister.
Und er denkt noch grösser – er denkt die Fans mit: Als er zu Beginn in Liverpool gefragt wurde, was seine wichtigste Aufgabe sei, sagte er, er wolle die Mentalität der Fans zu ändern – von Fans, die zweifeln, zu Fans, die an „uns“ glauben. Die meisten Manager hätten über den Kauf von Spitzenspielern und Ausgaben gesprochen. Aber Klopp wusste, wie wichtig die weltberühmten Liverpooler Fans für den Verein sind. Sie würden der 12. Mann sein.
Dadurch, dass Jürgen Klopp die Wertschätzung als Kernelement des Erfolges über die einzelnen Personen hinaus ausweitet, ja, über die Mannschaft hinaus erweitert, in den Bereich der Familien aller Beteiligten, in den Fanbereich hinein, schafft er eine Art „bestärkenden Hort“. Ein großes Ganzes, in dem das Team nicht rational, funktional gesehen wird, sondern als ein Miteinander, das die einzelnen Teammitglieder emotional zusammenbindet und gegenseitig stärkt.
„Humans“, auch im Management
Menschen sind eben nicht rational denkende Econs, sondern echte „Humans“, wie Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman es ausdrückt. Sie sind nicht rein rational sind und können es auch gar nicht sein. In der Führungsarbeit ist deshalb gerade die emotionale Bindung entscheidend, nicht nur im Fußball, auch im Management. Wer diese Einsicht ehrlich nutzt, kreiert eine ganz eigene Bindekraft und Qualität in seinem Team.
Für Führung im Unternehmen heißt das auch, nicht nur auf das eigene Führungsteam zu fokussieren, bspw. (funktional) auf das Bereichsteam oder (regional) die Länder-Geschäftsführung, sondern „Team“ grösser zu denken. Also als Führungskraft eine Einstellung und Verhaltensweisen (vor-) zu leben, die genau das unterstützen: raus aus dem Silo-Denken, rein in die Unternehmens-Denke. Denn genau daran hapert es immer wieder. Genau das ist die Ursache für Konflikte, sei es um Ressourcen, Verantwortung oder Priorisierung.
Ganz ehrlich, denken Sie selbst „Team“ im Großen oder eher im Kleinen? Im engsten Kreis oder cross-funktional im Unternehmen und als Ecosystem darüber hinaus? Wir wissen, dass dies richtig schwer ist – und dennoch oder gerade deshalb lohnt es sich, die Sichtachse zu erweitern!
Wenn Sie Lust auf mehr haben und die Führungskraft Jürgen Klopp besser verstehen möchten, hören Sie doch mal rein in unsere zwei Podcast-Folgen zu Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann. Einfach auf den Namen klicken und los geht’s…
Viel Spaß dabei!
Ihre Anke Houben & Kai Dierke