In den Krankenhäusern und in der Altenpflege fehlen sie. Oder in Handwerksbetrieben. Überall erleben wir, wie groß der Mangel an Fachkräften ist. Und kaum ein Unternehmen, das nicht mit diesem Mangel zu kämpfen hat. Aber wie sieht es in der Führung der Unternehmen aus, etwa bei den Führungskräften im Mittleren Management?
Odgers Berndtson hat für sein aktuelles Managerbarometer Führungskräfte des Mittleren Managements befragt. Der harte Befund: Jeder Vierte will kündigen! Dazu kommen gerade aus dem Top-Management Klagen, dass die jüngeren Führungskräfte dem, was erfolgreiche Führung sei, nicht mehr gewachsen seien. Wir fragen uns: Was passiert da? Schlittern wir in eine Krise der Führungslosigkeit hinein?
Die scheinbar Führungsmüden
Das Managerbarometer und ähnlich gelagerte Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung im Mittleren Management zeigen, dass das Bild von Führungskräften, die einfach „stark“ zu sein und „Druck standzuhalten“ haben, nicht mehr zeitgemäß sei. Vor „Führungsmüdigkeit“ wird gewarnt: Zu viele jüngere Führungskräfte könnte ihr Zweifel dazu bewegen, prominenten Vorbildern nachzueifern – und „einfach aussteigen“. Die Zeichen sind deutlich: der Kündigungswille bei Führungskräften ist in den Krisen der vergangenen Jahre deutlich gewachsen. Droht also mit dem Generationenwechsel eine „Führungslücke“ – ein Auseinanderklaffen des Bedarfs an Führung und der Bereitschaft zur Führung?
Gerade die Mittelmanager stehen im Feuer. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die wir für Sie in unserem Podcast „Die Führungsmüden. Ein Weckruf“ vertiefen.
Aus dem Top-Management aber hören wir häufig die Klage, dass die nachwachsenden Führungskräfte nicht ihren Ansprüchen an Führungsstärke gerecht werden, dass jüngeren Menschen eine übertriebene Sinnsuche wichtiger sei und mangelnde Leistungsbereitschaft oder Entscheidungswille das Problem seien. Aus Sicht mancher Top-Manager droht also Führungslosigkeit durch Unzulänglichkeit.
Das überholte Verständnis von Führung
Wir wagen eine deutlich radikalere Hypothese: Die oft beklagte Führungsmüdigkeit ist hausgemacht.
Es herrscht ein eklatanter Mangel an positiven Vorbildern für das, was zeitgemäßes Führen heute bedeuten muss – gerade an der Unternehmensspitze. Das Phänomen der Führungsmüdigkeit ist nicht primär ein Problem der Generation Y. Im Gegenteil: Es sind die Baby Boomer und ältere Vertreter der Generation X – gerade jene in Spitzenpositionen – die trotz aller Lippenbekenntnisse zu neuen Führungs-„techniken“ und „New Work“ noch zu oft ein überholtes Verständnis von Führung vorleben. Ein Verständnis, das durch Glaubenssätze geprägt wird, die wir als die Sieben Mythen der Führung beschrieben haben – wie etwa der Antwort-Mythos, der Sieger-Mythos oder der Mythos der starken Hand.
Unsere Erfahrung – gerade an der Unternehmensspitze – zeigt, dass „das Problem“ oft nicht die nun nachfolgende Generation X/Y von Führungskräften ist. Es ist vielmehr die Generation der Baby Boomer, die sich jetzt selbst transformieren muss. Denn diese Generation ist es, die geprägt von alten Mythen der Führung – unhinterfragten Erfolgsmodellen – ihren Weg bis ganz nach oben gemacht hat.
Die Pflicht der Baby Boomer zum Vorbild
Aus unserer Sicht ist die Klage über die vermeintlich übertriebene Sinnsuche, Selbstbezogenheit, mangelnde Leistungsbereitschaft und geringe Resilienz der „Snowflakes“ de facto Ausdruck einer Arbeitsverweigerung der Baby Boomer. Denn ihre Entwicklungsaufgabe wäre es, selbstreflektiv eigene Erfolgsmodelle fundamental in Frage zu stellen und sich persönlich zu inspirierenden Rollenvorbildern für die nachfolgenden Generationen weiterzuentwickeln.
Jüngere Führungskräfte brauchen Vorbilder – und sie brauchen Vorbilder, die einen Führungsstil leben, der zeitgemäß ist, der Zukunft hat. Nur so können „Next Generation Leaders“ Führungs-Kraft entwickeln, um Deutschlands Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu navigieren.
Wir sehen das Top-Management in der Pflicht, einen Weg zu beschreiten, der Führung für die nachwachsenden Generationen attraktiver macht.
Anke Houben & Kai Dierke