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„Wir können Krisen!“ – Deutschland zwischen Führung und Krisenmanagement

Nein. Wir können keine Krise. Was wir in Deutschland können, dass ist Krisenmanagement. Wenn wir darauf schauen, wie in Deutschland mit Krisen umgegangen wird, dann erkennen wir keine Führung, sondern bloßes technisches Management. Ein Trend, der unsere Politik gegenwärtig bestimmt.

Die Finanzkrise zeigte dies, in der Flüchtlingskrise wurde es deutlicher – und die Corona-Krise macht offenbar, was den politischen Führungskräften fehlt. Sie suchen nur noch nach akuten Lösungen – sie führen nicht souverän.

Sie mögen nun sagen: „Akute Lösungen sind gerade genau das, was wir brauchen. Wir stecken schließlich in einer Krise!“ Wieso das nicht reicht? Nehmen wir ein Beispiel aus der Welt der Krisen: der Notfallmedizin.

Krisenmanagement im schlimmsten Fall

Stellen Sie sich vor: Der Patient hat einen Herzinfarkt: Eine akute Krisensituation, die Krisenmanagement braucht. Die Ärzte müssen eine Diagnose stellen, intubieren, gegebenenfalls Sauerstoff anlegen, Medikamente geben, später vielleicht einen Stent einsetzen. Lauter technische und absolut notwendige Lösungen.

Aber was ist das Ziel der Ärzte? Das Ziel ist nicht nur, dass der Patient die Akutphase überlebt. Das Ziel lautet: Der Patient soll langfristig ein möglichst gutes Leben führen können, soll „gut aufgestellt sein“ für die Zukunft. Und genau hier löst die gute Führung das technische Management ab: Denn nun folgen die Gespräche zwischen Arzt und Patient, in denen der kranke Mensch verstehen lernt, dass er sein Leben umstellen muss. Der Arzt stellt Grundsatzfragen, die den Patienten weiterführen und entwickeln. Vielleicht erkennt er, dass er endlich das Rauchen aufgeben und Spaziergänge machen muss, vielleicht lernt er, wie er den Stress künftig vermeiden kann. Vielleicht darf er sein Lieblingsgericht nicht mehr essen. 

Führung und Management

Bei den technischen Lösungen hat der Arzt die Verantwortung – da ist sein gutes Management gefragt. Wenn er aber auch gut führen will, muss der Arzt dem Patienten nach der ersten, der akuten Bewältigung der Krise seine Verantwortung übergeben. Er muss ihn dahinführen, dass der Patient bereit ist, sich neue Fragen zu stellen, umzudenken und sich anders zu verhalten. 

Es braucht beides: Ohne die Ad-hoc-Lösungen im Krankenwagen oder in der Intensivstation hat der Patient keine Chance zu leben. Ohne die Veränderung, die auf den Krisenmoment folgt, ist sein just gerettetes Leben ein womöglich sehr kurzes Geschenk. 

Von Lockdown zu Lockdown

Die Corona-Krise bestimmt den Alltag dieses Landes nun seit über einem Jahr. Natürlich war es richtig, dass die Bundes- und Landesregierungen zunächst technisch reagierten, dass neue Regeln – Lockdowns, Masken & Co. – und technische Lösungen – Tests und Impfungen – eingeführt wurden. 

Aber was tun wir außerdem? Noch bis vor kurzem haben wir erlebt, dass wir Mal um Mal diese Akutphase wiederholten. Und von Lockdown zu Lockdown stieg die Unzufriedenheit der Gesellschaft.  Das systematische Führen, in dem Veränderungen angeregt, verstanden und gelebt werden, erleben wir nicht.

Was hätte nun die Führung gebraucht und was braucht sie auch heute? Neue Fragen. Denn „Wie stoppen wir das Virus?” reicht nicht mehr. 

Fragen wir stattdessen: Was ist das Schlimmste, mit dem wir in Zukunft rechnen sollten? Was haben wir aus der Krise für eine solche Situation gelernt – als einzelner und als Gesellschaft? Wie müssen wir uns grundsätzlich vorbereiten von der Digitalisierung des Bildungs- und Behördenwesens, der Neujustierung des föderalen Miteinanders im Katastrophenfall, der Sicherstellung unabhängiger Beschaffungswege etc. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Das sind Fragen, die die Politik, die Führung unseres Landes, anregen muss, damit sie offen gesellschaftlich diskutiert und verhandelt werden. Damit wir gemeinsam für die Zukunft lernen können und uns besser für die nächste Krise aufstellen, statt dieses Learning unter den Tisch fallen zu lassen. 

Diese Führung, die sich nicht lediglich von der akuten Bewältigung leiten lässt, ist in einer gesellschaftlichen Krise genauso wichtig wie beim Arzt. Denn weder als Patient noch als Bürger reichen Verbote aus, um langfristig besser zu leben. 

Krise können wir dann, wenn wir einen gesellschaftlichen Dialog führen und damit gemeinsam lernen, uns auf eine Weise selbst zu führen, die uns in Zukunft erlaubt, souveräner zu agieren.

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