Führung, Leadership, Krise, Verantwortung, Management
DierkeHouben Insights

Das Ende der Illusionen in der Führung

Krisen sind schonungslose Vergrößerungsgläser: Sie machen rücksichtslos sichtbar, was zuvor gerne ausgeblendet wurde – oder erst gar nicht denkbar schien. Schon die Corona-Krise hat offengelegt, wie verwundbar und wie fragil jeder Einzelne von uns ist. Der kriegerische Überfall Putins auf die Ukraine dagegen hat allen gezeigt, dass der Frieden, den wir zumindest in Europa für selbstverständlich hielten, nur eine Illusion war.

Dieses jähe Ende von Illusionen ist extrem schmerzhaft, denn die sicher geglaubte Orientierung geht verloren, weil individuelle Selbstgewissheiten ins Wanken geraten. Diese Selbstgewissheiten nennen wir „Ego-Illusionen“. Selbst krisenerprobte Führungskräfte erleben nach der Corona-Krise nun die aktuelle Krise als ganz persönliche Grenzerfahrung – als Krise ihrer wirksamen Selbstführung. Denn die Ego-Illusionen sind identitätsstiftende Selbst-Narrative, die bisher stabilisierend wirkten und damit das Verhalten in der Selbstführung und der Führung anderer entscheidend geprägt haben. Mit diesen Krisen haben diese Narrative starke Risse bekommen – jede auf ihre Art. 

Lassen Sie uns Ihnen die vier verschiedenen Formen der Ego-Illusion vorstellen.

Illusion in der Führung #1: Ewiger Fortschritt 

Die erste ist die „Fortschrittsillusion“. Viele – auch wir – haben bisher immer gesagt: „Die Zukunft ist wie die Vergangenheit – nur besser“. Das ist menschlich: Wir sind nun einmal linear denkende Wesen. Sie und wir können nicht anders, als in Kontinuitäten denken. Für das Denken in Diskontinuitäten sind wir mental nicht konstruiert. 

Daher glauben wir, dass die Zukunft eine Fortschreibung der Vergangenheit ist. Darauf gründen wir unser Vertrauen in die Zukunft – auch wenn wir objektiv keinen Grund dafür haben. Auf eine tiefgreifende Destabilisierung durch Unsicherheit, Uneindeutigkeit und Komplexität sind wir mental schlecht vorbereitet. 

Illusion in der Führung #2: Absolute Kontrolle

Die zweite Ego-Illusion ist die „Kontrollillusion“. Welcher erfolgreiche Mensch hat sich nicht eingebildet: „Ich habe Kontrolle über mein Leben“? Wo Stabilität herrscht, erscheint Ihnen das Leben beherrschbar. In einer vermeintlich vorhersehbaren Welt können Sie in dem Bewusstsein leben, dass Sie durch Planen und Kontrolle – auch durch Disziplin und Selbstkontrolle – die Dinge im Griff haben. Persönliches Ausgeliefertsein und Verwundbarkeit haben in diesem Selbstverständnis keinen Platz. 

Erst die Corona-Krise, nun die Ukraine-Krise greifen dieses Selbstbild fundamental an – sie konfrontieren jeden mit einem schmerzhaften Kontrollverlust. Der Einfluss auf das eigene Leben ist weit geringer als angenommen.  

Illusion in der Führung #3: Leistung lohnt sich 

Wahrscheinlich waren auch Sie immer stolz darauf zu sagen: „Ich kann einen Unterschied machen“. Gerade wenn Sie auch aus der Babyboomer-Generation stammen, haben Sie wahrscheinlich noch den Spruch Ihrer Eltern im Ohr: „Wenn du nur hart genug arbeitest, wirst du Erfolg haben. Leistung lohnt sich“. Die Leistungsillusion wurde von Kindesbeinen an genährt.

Diese Krisen zwingen alle zum Umdenken: Viele Unternehmer leisten Außerordentliches geleistet – und können gegen diese Krisen trotzdem nicht ankommen. Ärzte und Pfleger leisten Enormes – und konnten trotz aller Anstrengungen nicht jedes Menschenleben retten. Die Hilfskräfte in der Ukraine und in den Staaten, die die Flüchtlinge aufnehmen, leisten Enormes – und können dennoch vielen nicht helfen. Ob Leistung sich lohnt? Wer weiß das noch so genau …

Illusion in der Führung #4: Einmal Erfolg, immer Erfolg 

Die vierte und letzte Ego-Illusion ist die „Erfolgsillusion“. Sie spiegelt sich in dem Satz: „Ich hatte Erfolg und deshalb werde ich auch Erfolg haben“. Ganz ehrlich: Wer an unbegrenzte Selbstwirksamkeit glaubte, hat sich schon immer etwas vorgemacht. Warum die Erfolgsillusion dennoch so verbreitet ist, liegt an dem eingebauten Selbstdienlichkeitsfehler unserer kognitiven Fähigkeiten: Menschen übertreiben unbewusst ihren eigenen Beitrag zum Erfolg und unterschätzen systematisch den Beitrag von Zufall, Glück oder günstigen Umständen. Erst Krisen zwingen zu mehr Bescheidenheit. 

A crack for the light

Ego-Illusionen sind zutiefst menschlich. Doch spätestens die aktuellen Krisen zwingen auch Manager anzuerkennen: Sie sind weit verwundbarer als sie glaubten. Sie haben weit weniger Kontrolle als sie dachten. 

Und doch steckt in diesem zwangsweisen Abschied von den Ego-Illusionen eine große Chance für die Entwicklung der eigenen Führungsqualitäten. Denn souveräne Führung gelingt Ihnen nur, wenn Sie diese trügerischen Selbstgewissheiten überwinden. Deshalb hat Leonard Cohen recht mit seinem Appell für dunkle Zeiten: 

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Vorheriger Beitrag
Warum souveräne Führung nur MIT der Angst gelingen kann
Nächster Beitrag
Annalena Baerbock und der klare Kompass