Wir leben in Zeiten tiefgreifender Unsicherheit. Mit dem Wahlsieg eines disruptiven Politikers wie Donald Trump, einem zunehmend instabilen Europa und globalen Krisen scheinen viele Orientierungspunkte zu verschwimmen. Das ist keine bloße Aneinanderreihung von Ereignissen – es ist ein existenzieller Umbruch.
Unsere Herausforderung ist: Wie bleiben wir als Führungskräfte handlungsfähig und entwickeln eine produktive Haltung inmitten dieser Unsicherheit?
Für den Philosophen Karl Jaspers ist eine solche fundamental fordernde Situation nicht einfach nur ein Ereignis, sondern eine existenzielle Bedingung, die den Menschen zu einer persönlichen Haltung und Entscheidung zwingt.
Die Situation: Unausweichlich und existenziell
Jaspers versteht die „Situation“ als eine Konfrontation, die uns ganz grundlegend fordert. Vier Merkmale stehen für ihn dabei im Vordergrund:
- Existenzielle Konfrontation:
Krisen brechen Sicherheiten auf und fordern uns auf, über unsere Werte und Rolle in der Welt nachzudenken. - Unausweichlichkeit:
Rückzug ist keine Option. Die Situation erfordert bewusste Auseinandersetzung. - Freiheit und Verantwortung:
Jede Entscheidung ist ein Ausdruck unserer Freiheit – und damit auch unserer Verantwortung. - Selbstverwirklichung:
Gerade in Krisen können wir uns als Individuum neu definieren und wachsen.
Wir können uns nicht einfach aus der Welt ausklinken und so tun, als habe das alles mit uns nichts zu tun. Wir können die Welt aber auch nicht retten. Zwischen diesen Polen – zwischen Ohnmacht und Allmacht – müssen wir eine angemessene Haltung entwickeln.
Für uns Führungskräfte heißt das: Die Unberechenbarkeit der Situation verlangt nicht nur Anpassungsfähigkeit, sondern auch innere Stärke. Wenn wir Menschen im „äusseren Spiel“ mit Ereignissen oder einem Zustand konfrontiert sind, denen wir nicht entkommen können, fordert dies von uns eine bewusste Auseinandersetzung und Haltung – in unserem „inneren Spiel“.
Kurz gesagt: Für Jaspers ist die „Situation“ eine Art „Prüfung“, in wir uns als Individuum bewusst und frei zu einer Haltung entscheiden müssen.
Aber das ist einfacher gesagt als getan – denn unsere alltägliche Lebensumwelt ist nicht gerade hilfreich…
Die Herausforderung: Warum fühlen wir uns machtlos?
Die Fülle negativer Nachrichten hat viele von uns in eine emotionale Dauerbelastung versetzt. Die Gründe dafür sind tief in unserer Biologie und Gesellschaft verwurzelt:
- Das Negativity Bias:
Unser Gehirn reagiert stärker auf Bedrohungen als auf positive Reize. In der heutigen Welt führt dies zu einer Überbetonung negativer Nachrichten. - Die Erschöpfung durch ständige Informationsflut:
Studien zeigen, dass wir nur einen Bruchteil der Informationen bewusst verarbeiten können. Dennoch strömt eine Flut von negativen Schlagzeilen auf uns ein und erzeugt ein Gefühl von Hilflosigkeit. - Verlust der Selbstwirksamkeit:
Mehr Informationen bedeuten nicht automatisch mehr Handlungsoptionen. Wenn wir uns ohnmächtig fühlen, sinkt die Motivation, aktiv zu werden.
Der Medienkonsum verstärkt diesen Effekt. Viele „Aufmerksamkeitshändler“ wetteifern um unsere knapp bemessene Zeit. Aufmerksamkeit ist die zentrale Währung der Gegenwart! Oder anders gesagt, mit Daniel Goleman: “A wealth of information means a poverty of attention.”
Genau das ist das Problem: Statt die Welt besser zu verstehen, schaffen wir uns dadurch oft nur mehr emotionale Belastung.
Doch es gibt Auswege…
Die Strategien für Souveränität: Was können wir tun?
Und die sind eigentlich einfach – und doch schwer, bewusst und diszipliniert umzusetzen… wie alle neuen Routinen!
In schwierigen Zeiten finden wir es entscheidend, die eigene Haltung zu stärken und damit Handlungsspielräume zurückzugewinnen. Hier sind drei Ansätze, die vielleicht auch Ihnen helfen können:
1. Resonanz-Oasen schaffen
Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von „Resonanz-Oasen“ – und meint Orte, Menschen oder Aktivitäten, die einem Geborgenheit und Kraft geben. Diese Oasen können so unterschiedlich sein wie wir Menschen…
- Orte der Ruhe und Reflexion suchen
Ob es ein täglicher Spaziergang in der Natur ist oder ein persönlicher Rückzugsort – suchen Sie Momente, die Ihnen Kraft und Halt geben. - Beziehungen stärken
Schaffen Sie Gelegenheiten für offene Gespräche, in denen Vertrauen und Empathie im Vordergrund stehen. - Rituale pflegen:
Nutzen Sie kleine Routinen, die Verlässlichkeit und Struktur vermitteln – auch sie können als Resonanz-Anker dienen.
2. Selbstwirksamkeit im Kleinen stärken
Selbstwirksamkeit entsteht, wenn wir uns bewusst kleine Schritte vornehmen, um positiv Wirkung zu entfalten…
- Finden Sie Aufgaben, die machbar sind und Erfolgserlebnisse schaffen – ob im Beruf oder privat.
- Stellen Sie sich regelmäßig die Frage: „Was ist mir wirklich wichtig?“ – und fokussieren Sie darauf.
Mikroschritte sind nicht nur pragmatisch, sondern auch sinnstiftend. Uns helfen sie, uns im Chaos neu zu orientieren.
3. Den eigenen Ängsten begegnen
Angst ist ein Warnsignal, das uns zur Auseinandersetzung auffordert. Ignorieren wir sie, kann sie uns lähmen. Uns helfen diese Schritte…
- Reality Testing:
Prüfen Sie, welche Ängste begründet sind und welche eher von der Flut negativer Informationen getriggert sind. - Neue Denkroutinen trainieren:
Viktor Frankl betonte: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Freiheit.“ Nutzen Sie diesen Raum, um nicht in der reinen Reaktion stecken zu bleiben und eine produktive Sichtweise zu entwickeln.
Unser Fazit: Ein „Dennoch“ in schwierigen Zeiten
„Das Absurde macht nur Sinn, indem man sich ihm nicht beugt.“ Albert Camus formulierte in seiner Auseinandersetzung mit dem Absurden diese Idee einer „trotzigen Revolte“. Schöner kann man die Haltung in diesen Zeiten nicht in Worte fassen. Dieses „Dennoch“ – die bewusste Entscheidung, sich der Situation zu stellen – dient uns als Inspiration. Vielleicht Ihnen auch? Es geht darum, nicht in Resignation zu verfallen, sondern inmitten der Unsicherheit eine klare Haltung einzunehmen.
Die aktuellen Herausforderungen sind real und belastend, doch sie bieten auch die Chance, neue Perspektiven zu entwickeln und die eigene Rolle zu überdenken. Mit Strategien wie Resonanz, Selbstwirksamkeit und reflektiertem Umgang mit Ängsten können wir nicht nur überleben, sondern wachsen – als Menschen und als Führungskräfte.
Einen Deep Dive zu diesem Thema gibt‘s in unserer Podcast-Folge „DIE Situation ist da! Wie im Jetzt souverän führen?“
Noch ein Tipp: Mit genau diesen Fragen der Selbstwirksamkeit befassen wir uns auch in unserem Leadership Programm SOUVERÄN. Wir starten Anfang April 2025 in die nächste Kohorte. Wenn Sie Lust haben, in diesen wirren Zeiten Ihre Führungsfähigkeit und innere Kraft zu stärken, Ihren eigenen klaren Kompass zu entdecken, melden Sie sich gerne. Dies ist ein exklusives Programm für nur 12 Managerinnen und Manager. Es sind noch wenige Plätze frei. Auf dieser Website finden Sie auch den Link zur Broschüre: https://dierkehouben.com/angebot/leadership-programme/souveraen/
Ihre
Anke Houben & Kai Dierke