Kennen Sie das auch? Wenn Sie schon lange in Ihrem Beruf sind, dann sehen Sie immer wieder ähnliche Entwicklungen, Herausforderungen, Probleme. Es ist als ob die Geschichte sich unendlich wiederholt. Genau so geht es uns in unserer Arbeit: Wir können immer wieder die gleichen Dynamiken und Verhaltensweisen in Vorständen und Geschäftsführungen beobachten, die sich als wiederkehrende typische Muster gezeigt haben.
Diesen Mustern sind wir in zahllosen Gesprächen intensiver auf den Grund gegangen. Die eindeutigsten Muster, die wir bei der Mehrzahl heutiger Top-Manager wiederfanden, haben wir zu „7 Mythen der Führung“ verdichtet. Sie stellen in der Essenz das aus unserer Sicht nach wie vor herrschende Führungsverständnis im Top Management dar.
Oder anders formuliert: Viele Top-Führungskräfte folgen unhinterfragt und oft auch unbewusst sieben Glaubenssätzen, wie gute Führung zu sein hat.
Die Glaubenssätze und ihre Gefahren
Und genau hier liegt die Crux: Diese „Mythen der Führung“, denen zu viele Manager unwillkürlich folgen, gelten nach wie vor als die Erfolgswährung in den Führungsetagen der Wirtschaft und sind Garanten einer erfolgreichen Karriere. Sie bieten ein Versprechen für genau das, was Führende am meisten brauchen: ein Wirksamkeitsversprechen.
Und je komplexer die Welt, desto mehr halten viele Manager an diesen Glaubenssätzen oder Mythen fest, die ihr Selbst-Narrativ stabilisieren. Das ist absolut nachvollziehbar, aber eben auch gefährlich. Schon John F. Kennedy erkannte die Gefahr von Mythen: „The great enemy of truth is very often not the lie – deliberate, contrived and dishonest – but the myth – persistent, persuasive and unrealistic. Too often we hold fast to the cliches of our forebears.“ Und so ist unser Befund eindeutig: Diese Glaubenssätze über Führung bringen oft dysfunktionale Verhaltensmuster hervor.
Damit sind viele Top Manager der Generation der Baby Boomer und manche ältere Vertreter der Generation X gefangen in ihren Routinen und geben ein nicht mehr zeitgemäßes Vorbild für nachfolgende Führungsgenerationen.
Die 7 Mythen der Führung im Quick-Check
Es ist ganz klar: Als Babyboomer tappen auch wir immer wieder in die Mythen-Falle. Wir sehen bei uns selbst, dass wir unhinterfragt Glaubenssätzen über Führung folgen, die tatsächlich nicht wirksam sind. Und genau darum geht es: sich von Mythen zu lösen und sich damit aus alten unproduktiven Verhaltensroutinen herauszuarbeiten, um wirksamer führen zu können.
Daher fragen wir Sie: Welche Glaubenssätze erkennen Sie bei sich selbst wieder? Sicher sind es nicht alle Mythen, denen Sie folgen – fokussieren Sie auf jene, denen Sie intuitiv am stärksten folgen. Der erste Schritt ist ein Mythen-Check.
Los geht’s! Das sind die 7 Mythen in Kurzform für einen Check „quick + dirty“…
1. Der Aktions-Mythos
Glaubenssatz: «Im Zweifel handeln, schnell und unermüdlich – das ist die Währung von Erfolg. Es gibt kein: „Es ist alles getan“. Es geht immer noch mehr.»
Doch „Im Zweifel handeln – sofort“ verengt den Blick des Managers auf Probleme, die schnell mit seinen Routinen zu lösen sind. Immer dann aber, wenn adaptive Herausforderungen auftreten, wenn tief verwurzelte Überzeugungen infrage gestellt werden müssen, greifen diese Lösungsroutinen zu kurz. Jede Konfliktsituation, jedes Veränderungsprojekt hat mit solchen adaptiven Herausforderungen zu kämpfen. Die Beteiligten müssen ihre Loyalitäten neu ausrichten, Verlustängste überwinden, Einstellungen hinterfragen und neue Verhaltensweisen erlernen.
Führen raus aus dem Aktions-Mythos beginnt daher nicht mit schnellem „Ent“-scheiden, sondern mit dem „Unter“-scheiden: Was sind die adaptiven Elemente eines Problems – und was sind seine technischen Elemente? Manager müssen dem Impuls zu handeln widerstehen und mehr Zeit in die Problem-Diagnose und die angemessene Lösungsfindung investieren.
2. Der Sieger-Mythos
Glaubenssatz: «Die Welt ist ein permanenter Konkurrenzkampf – ich gegen die anderen. Für Erfolg muss ich mich durchsetzen und gewinnen, um jeden Preis, in jeder Situation, immer.»
Doch dieses Denkmuster reduziert die Welt vieler Top Manager auf zwei Sphären: „Ich Selbst“ und „die Anderen“. Trotz aller Bekenntnisse zu Teamplay und Zusammenarbeit denken viele Baby Boomer immer noch dichotomisch: Der Zweite ist der erste Verlierer. Deshalb treffen wir an der Unternehmensspitze oft nicht auf Teams, sondern auf eine Gruppe von individualistischen Siegern. Häufig wird dem einsamen Siegen Vorrang gegeben statt den Beitrag zum gemeinsamen Gewinnen in den Fokus zu nehmen.
Führen jenseits des Sieger-Mythos beginnt also mit einer Veränderung im Kopf: vom Alleswisser im endlichen Spiel zum Alleslerner und seinem besten Beitrag für das unendliche Spiel.
3. Der Antwort-Mythos
Glaubenssatz: «Antworten parat zu haben, ist der Beweis meiner überlegenen Kompetenz. Fragen zu stellen dagegen schadet meiner Reputation und ist ein Zeichen von Schwäche.»
Doch in einer hochkomplexen Welt greift das zu kurz – grosse, transformative Fragen sind hier das entscheidende Instrument des Erfolgs. Sie zwingen zum „infrage stellen“ der eigenen Werte, Denkroutinen und mentalen Modelle, um neue Handlungsoptionen im strategischen Spiel zu erschließen.
Führen jenseits des Antwort-Mythos beginnt nicht mit schnellen Antworten, sondern mit der mutigen Entwicklung der großen transformativen Fragen auf der Suche nach neuen Perspektiven.
4. Der Helden-Mythos
Glaubenssatz: «Selbstgewisses Auftreten gilt als Erfolgswährung im Management. Persönliche Bescheidenheit zu zeigen, gibt mir nicht den entscheidenden Wettbewerbsvorteil.»
Doch wenn Selbstbewusstsein in Selbstüberschätzung des eigenen Wissens und der eigenen Leistungsfähigkeit umschlägt, wird es zur Waffe gegen andere – aber letztendlich auch gegen sich selbst. Wer die kollektive Leistungsfähigkeit der Führungsmannschaft nicht nutzt, fühlt sich selbst unentbehrlich und macht sich zum Nadelöhr. Die eigene Arbeitslast steigt, Mitstreiter resignieren oder gehen auf Vermeidungskurs – ein Teufelskreis.
Führen jenseits des Helden-Mythos beginnt damit, einen „Beginners Mind“ zu kultivieren und sich selbst – persönlich bescheiden – als Lern-Experiment zu verstehen.
5. Der Angst-Mythos
Glaubenssatz: «Angst kenne ich nicht. Denn Angst ist ein Zeichen von Schwäche, Selbstzweifel und Verunsicherung – und die kann ich mir als erfolgreicher Manager nicht leisten.»
Der Glaube „Ich kenne keine Angst“ ist der hinterhältigste unter den Führungsmythen. Denn jeder Mensch hat Ängste – und Manager sind auch nur Menschen. Doch wer tieferliegende Ängste unterdrückt, leugnet oder nicht anerkennt, schwächt nicht nur die eigene Führungsarbeit. Er schwächt auch die Organisation. Manager mit verdrängten Ängsten erzeugen oft selbst Kulturen der Angst: Risiken werden vermieden, Probleme werden vertuscht, Verantwortung wird gescheut oder permanent nach oben delegiert.
Führen jenseits des Angst-Mythos beginnt damit, den eigenen Ängsten bewusst zu begegnen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und Distanz zu schaffen.
6. Der Mythos der starken Hand
Glaubenssatz: «Ich muss Unangreifbarkeit demonstrieren und darf den Panzer von Perfektion nicht ablegen, gerade in Krisenzeiten. Verletzlichkeit und Fehler eingestehen, haben im Top Management nichts zu suchen.»
Doch in Zeiten von Ungewissheit und rasanter Veränderung sind Fehler ein Zeichen von Stärke. Denn eines ist sicher: Führende werden Fehler machen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Starke Führungskräfte legen die Rüstung der Unverwundbarkeit ab und signalisieren dem Gegenüber, von dessen guten Absichten überzeugt zu sein. So wird Verwundbarkeit zum Treibsatz von Vertrauen, der wichtigsten Grundlage jeder Führungsarbeit.
Führen jenseits des Mythos der starken Hand beginnt damit, den eigenen Panzer der Unfehlbarkeit abzulegen – und sich den Zweifeln zu stellen, die damit verbunden sind.
7. Der Mythos vom rationalen Manager
Glaubenssatz: «Gute Manager entscheiden rein rational nach objektiven Kosten- und Nutzen-Gesichtspunkten. Ich fokussiere auf Zahlen, Daten und Fakten – Emotionen gehören hier nicht hin.»
Doch Emotionen als nicht relevant anzusehen, leugnet eine biologische Tatsache: Menschen sind nicht „thinking machines, but feeling machines that think“. So hat es Antonio Damasio, einer der Begründer der Neurowissenschaften, auf den Punkt gebracht. Manager müssen anerkennen, dass ihre Emotionen weit mehr Einfluss auf ihre Ratio haben als umgekehrt.
Führen jenseits des Mythos vom rationalen Manager beginnt damit, vom Bild des rationalen Selbst Abschied zu nehmen – nicht mit dem Ziel, den Emotionen die Kontrolle zu überlassen. Sondern mit dem Ziel, zu lernen, sich der eigenen Emotionen und der anderer bewusst zu werden, um die eigenen Emotionen wirksam zu managen und in der Beziehung zu anderen wirksam führen zu können.
Das sind sie, die 7 Glaubenssätze im Top Management, die uns immer wieder begegnen und wirksame Führung einengen. Aber was sind die Schritte raus aus den eingefahrenen Routinen?
Auf dem Weg zum Vorbild in neuer Führung
Führung heisst mehr denn je Veränderungsfähigkeit.
„Confront the brutal facts“ ist daher das oberste Gebot für die bewusste Abkehr von den Mythen. Das heißt, sich konsequent anhand konkreter Situationen im Führungsalltag die eigenen Denk- und Verhaltensroutinen vor Augen zu führen. Welche Glaubenssätze und typischen Denkroutinen treiben das eigene Führungsverhalten, gerade unter Druck?
Dieser erste Schritt in den Mythen-Check (1) ist entscheidend – danach geht es ins mutige Experimentieren (2) und schließlich ins unbeirrte Durchhalten (3). Das hat unsere volle Anerkennung und höchsten Respekt: Denn es braucht Mut, sich von den eigenen Routinen in der Führung zu verabschieden und sich als Führungskraft neu zu erfinden. Aber Ihr Mut lohnt sich!
Denn so werden Sie selbst zum Vorbild in Führung und Veränderung – und machen jüngeren Generationen wieder Lust auf Führung.
Hören Sie doch mal rein in unseren Podcast zu diesem Thema, hier: „Die Führungsmüden? Ein Weckruf!“. Und wenn Sie die 7 Führungsmythen, ihre Gefahren und Wege daraus tiefer verstehen möchten, schauen Sie doch mal in unser aktuelles Buch – auch als Hörbuch erhältlich, von uns eingesprochen, eine Leseprobe gibt’s hier: „Die Sieben Mythen der Führung. Ein Neuanfang“ (2021).