Die Ära der allwissenden Führungskraft ist vorbei. Dieser Satz trifft den Kern eines Wandels, der unser Verständnis von Leadership revolutioniert. Denn in einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz (KI) wie ChatGPT immer mehr Antworten liefert, wird die Fähigkeit, „intelligente Fragen“ zu stellen, zum entscheidenden Erfolgsfaktor in der Führung.
Von Antworten zu Fragen – das ist die neue Rolle von Führung auf den Punkt gebracht.
Doch warum sind Fragen so wichtig? Führung bedeutet heute nicht mehr, der oder die Klügste im Raum zu sein. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Teams durch kluge Fragen ihre Kreativität und Innovationskraft entfalten können. Jensen Huang, CEO von Nvidia, bringt es auf den Punkt: „Manchmal stelle ich einen ganzen Tag lang nur Fragen. Das ist der beste Weg, mein Team zu inspirieren.“
Warum wir Fragen verlernt haben
Fragen gut zu stellen, ist schwieriger, als es klingt. Warum? Weil unsere Kultur und unser Bildungssystem Antworten über alles priorisieren. Schon in der Schule werden wir darauf trainiert, die richtigen Antworten zu geben – nicht die richtigen Fragen zu stellen.
In der Arbeitswelt setzt sich dieses Muster fort. Vorstandsmeetings sind oft geprägt von dem Druck, schnelle Antworten zu liefern. Fragen werden oft als Schwäche interpretiert oder, schlimmer noch, als Kritik an anderen. Die Folge? Es entsteht eine Kultur des „Pseudo-Alignments“, in der kritisches Nachfragen ausbleibt, vertieftes Verstehen aus Zeitnot und falscher Priorisierung zu wenig Raum hat und echte Innovation auf der Strecke bleibt.
Von Besserwissern zu Besserfragern
Peter Drucker, der Pionier des modernen Managements, sagte einmal: „Ignorance is not such a bad thing – if one knows how to use it.“ Führungskräfte müssen lernen, die eigene Inkompetenz anzuerkennen und daraus eine Stärke zu machen.
Warum ist das so wichtig? Weil KI uns zwingt, unseren eigenen Wissensanspruch zu hinterfragen. Denn eines ist klar: „Die Kosten für Intelligenz werden gegen null gehen“ – da hat Sam Altman, Gründer von OpenAI, absolut recht.
So sehr es an unserem Selbstverständnis nagt: Die klügste „Person“ im Raum ist bald eine Maschine. Führungskräfte müssen sich daher von der Rolle des Allwissenden verabschieden und stattdessen lernen, kluge Fragen zu stellen, die ihr Team und sie selbst auf neue Denkwege bringen.
Intelligente Fragen als Leadership-Kompetenz
Doch was sind eigentlich „intelligente Fragen“? Nicht jede Frage führt automatisch zu Innovation oder Klarheit. Es gibt verschiedene Typen von Fragen, die Führungskräfte gezielt einsetzen können:
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Investigative Fragen: Sie graben tiefer und fördern versteckte Informationen zutage.
Beispiel: „Was ist die tiefere Ursache unseres Problems?“ -
Spekulative Fragen: Sie öffnen den Raum für neue Szenarien und Perspektiven.
Beispiel: „Was wäre, wenn wir komplett anders denken?“ -
Produktive Fragen: Sie fokussieren auf die nächsten Schritte und schaffen Klarheit im Prozess.
Beispiel: „Was müssen wir erreichen, um den nächsten Schritt zu gehen?“ -
Interpretative Fragen: Sie helfen, Erkenntnisse zu reflektieren und einzuordnen.
Beispiel: „Was lernen wir aus dieser Situation?“ -
Subjektive Fragen: Sie adressieren persönliche Einstellungen und Spannungen.
Beispiel: „Was bereitet Ihnen die größten Sorgen in diesem Projekt?“ -
Reflexive Fragen: Sie gehen tiefer und hinterfragen Denk- und Verhaltensmuster.
Beispiel: „Welche Denkroutinen stehen uns im Weg?“
Fragen als Schlüssel zur Innovation
„Alle Fragen bilden einen Rahmen, in den die Antworten fallen.“ Dieses Zitat von Innovations-Guru Clayton Christensen verdeutlicht, wie nicht unser Wissen, sondern „intelligente Fragen“ unsere Denkprozesse verändern können. Indem Führungskräfte gezielt Fragen stellen, die Denkmuster aufbrechen, schaffen sie Raum für echte Innovation.
Ein Beispiel dafür ist die Methode des „First Principles Thinking“: „Was können wir sicher als wahr betrachten? Und was sind darüber hinaus schon subjektive Annahmen?“ – diese Fragen reduzieren komplexe Probleme auf den Kern und erlauben so neues Lösungsdenken jenseits von üblichen Routinen.
Doch solche transformative Fragen verlangen Mut. Sie bringen Unsicherheiten ans Licht und fordern Führungskräfte heraus, bestehende Annahmen zu hinterfragen. Das ist unbequem, aber eben auch notwendig, um echte Veränderungen zu ermöglichen.
Fragen als Schlüssel zur Kollaboration
Intelligente Fragen sind nicht nur ein strategisches Werkzeug – sie sind auch ein Spiegel der inneren Haltung einer Führungskraft. Reflexive Fragen, die auf die eigenen Denk- und Verhaltensmuster abzielen, sind dabei besonders wertvoll. Sie erfordern jedoch ein hohes Maß an Selbstreflexion und Bereitschaft zur Veränderung. Beispiele für reflexive Fragen sind:
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„Welche Emotionen löst diese Situation bei mir aus, und wie beeinflussen sie mein Denken?“
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„Welche blinden Flecken habe ich möglicherweise in meiner Wahrnehmung?“
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„Wie kann ich mein Verhalten ändern, um die Zusammenarbeit zu stärken?“
Wie lernen wir, besser zu fragen?
Die gute Nachricht ist: Die Kunst des Fragens kann erlernt werden. Der erste Schritt ist eine Veränderung der eigenen Haltung. Führungskräfte müssen bereit sein, ihre eigene Unsicherheit zuzulassen und als Stärke zu begreifen. Doch das allein reicht nicht. Es braucht ein Umfeld, in dem Fragen erwünscht und gefördert werden.
Psychologische Sicherheit spielt dabei eine zentrale Rolle. Teams, die offen und respektvoll miteinander umgehen, können sich gegenseitig herausfordern und so zu neuen Erkenntnissen gelangen. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, ist daher nicht nur eine individuelle, sondern eine kollektive Kompetenz.
Die Zukunft gehört den Fragenden
Die Welt verändert sich rasant, und Führungskräfte stehen vor nie dagewesenen Herausforderungen. In dieser VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) ist die Fähigkeit, Fragen zu stellen, ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Fragen sind mehr als ein Führungsinstrument – sie sind eine Haltung. Sie erfordern Mut, Offenheit und die Bereitschaft, Neues zuzulassen. Doch sie bieten auch die größte Chance: Teams zu inspirieren, Innovation zu fördern und den Wandel aktiv zu gestalten.
Testen Sie sich doch mal selbst: Welche der 6 Fragen-Typen verwenden Sie am häufigsten? Welchen Fragen-Typ müssten Sie viel stärker anwenden? Und welche Frage möchten Sie heute stellen?
Wenn Sie Lust auf mehr haben, hören Sie doch mal in unsere Podcast-Folge zu diesem Thema rein: https://dierkehouben.com/blog/podcast/erfolgsfaktor-inkompetenz-vom-besserwissen-zum-besserfragen/?lang=de
Ihre
Anke Houben & Kai Dierke